ἐ. ist in den Papyri darüber hinaus noch bis in das 7. Jh. n. Chr. belegt. Diese Papyri sind jedoch theologischen Inhalts ohne verwaltungsterminologischen Hintergrund und werden somit an dieser Stelle nicht berücksichtigt.
Wie Preisigke im Fachwörterbuch darstellt, drückt ἐ. aus, dass das Zustellen eines Schriftsstückes, insbesondere einer Klageschrift, in persönlicher Anwesenheit des Empfängers, also Auge in Auge bzw. von Hand zu Hand geschieht. Dass diese Art von Übergabe üblich und rechtschaffen war, zeigt sich an dem oft beigefügtem Zusatz ὡς καθήκει (s. u. FORMELN). Preisigke verweist jedoch auch auf Mitteis, der „ἐνώπιον δίκην γράφειν als eine Handlung im ersten Termine vor Gericht“ (s. u. PREISIGKE FWB) versteht. Diese Verwendung von ἐ. sei an dieser Stelle kurz dargestellt: In P.Hib. Ι 30, 26 und P.Gur. 2, 33 tritt ἐ. als Adverb zusammen mit der Wendung (ἀνα)γραφήσεταί σοι ἡ δίκη ἐν τῶι δικαστηρίωι in Erscheinung. Zucker weist darauf hin, dass sich dieser Ausdruck „nicht auf die Hauptverhandlung, sondern auf die gerichtliche Veröffentlichung bezieht“ (s. u. LITERATUR). Das Prozedere ist nach Meyer (Mitteis ebenfalls) zu denken wie „dicam scribere des sizialianischen Peregrinenprozesses“, was „edere actionem vor dem Prätor im römischen Zivilprozess“ entspricht (s. u. LITERATUR).
Ansonsten findet sich ἐ. hauptsächlich im Zusammenhang mit der Zustellung von juristischen Schreiben verschiedenen Anlasses (Pfändung, Übereignungserklärung, Vollstreckung, etc.) oder deren ἀντίγραφα, z.B. P.Flor. I 56, 20, 21, 23; P.Meyer 6, 4 und P.Select. 11, 29.
ἐ. tritt in bei o.g. Bedeutung auf verschiedene Weise in Erscheinung:
1) als Adjektiv: (z.B. UPZ I 110, 36)
2 a) Neutr. als Adverb: (z.B. P.Tebt. I 14, 13); einmal findet sich das Adverb im Neutr. Pl.: P.Gur. 2, 33, vgl. hierzu Druffel (s. u. LITERATUR).
2 b) Neutr. als Präposition mit Gen.: (z.B. P.Grenf. I 38, 11, zu verstehen als ‚Auge in Auge mit jmdm.‘, ‚in Gegenwart von jmdm.‘)
Druffel, E. v., Zucker, F., Beiträge zur Kenntnis der Gerichtsorganisation im ptolemäischen und römischen Ägypten, KritV 14, 1912, 528. Meyer, P., Griechische Texte aus Ägypten, Berlin 1916, 43. Meyer, P., Juristische Papyri, Berlin 1920, 267. Mitteis, L., Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Bd. 2, Teil 1, Leipzig 1912, 18. Preisigke, F., WB, Bd. I, Sp. 504 s.v. Zucker, F., Beiträge zur Kenntnis der Gerichtsorganisation im ptolemäischen und römischen Ägypten, Philologus, Suppl. 12, 1912, 49.
Auge in Auge, bes. gebraucht für die Form bei Übergabe (Zustellung) eines Schriftstückes (zB. Klagezustellung), zugestellt „von Hand zu Hand“, d.i. an den Empfänger persönlich. Ggs.: ἀπ' οἰκίας zugestellt durch Hinterlassung der Ladung (in Abwesenheit des Empfängers). Par. 63, 36 = Petr. III S. 20 [164 v.]: διαστολῶν γεγονυιῶν ὑμῖν καὶ -πίοις καὶ διὰ γραμμάτων, obwohl euch Anweisungen zugefertigt worden sind sowohl persönlich (mündlich), als auch schriftlich. Schubart, P. gr. Berol. 6a, 6 = Preisigke, SB. 3925 [148/7 v.]: παρηγγελκότες Ταγῶτι μὲν -πίωι, ̓Εσορόηρει δὲ ἀπ' οἰκίας διὰ φυλακίτου, Tagos wurde persönlich, Esoroeris durch Hinterlassung der Ladung im Hause seitens des Polizeidieners in Kenntnis gesetzt. – Mitteis, Grdz. 18, versteht das ἐνώπιον δίκην γράφειν als eine Handlung im ersten Termine vor Gericht. Vgl. Druffel, Kritische Vierteljahrsschr. 1912, 527. (Preisigke, Fachwörter, S. 78)
Bemerkungen:
Es findet sich zweimal die Schreibung ἐνοπιν für ἐνώπιον bei P.Bodl. I 32, 2 und P.Grenf. II 71, 26, allerdings in einem identisch ausformulierten Satz. Ansonsten tritt diese Schreibweise nicht noch einmal auf, so dass ἐνοπιν eher nicht als Schreibvariante aufgefasst werden kann, sondern vielmehr als Fehler zu sehen ist. Dafür spricht auch der in beiden Papyri fehlerhaft angeschlossene Dativ αὐτοίς, da stattdessen ein Genitiv zu erwarten ist.