δημόσια wird in der Literatur bisweilen mit dem Zusatz τέλεσματα erläutert; jedoch steht gerade δημόσια, wie auch das singularische δημόσιον, in so vielen Fällen absolut, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, es habe sich auch für die antiken Sprecher tatsächlich von möglichen Bezugswörtern (vgl. z. B. auch ὀφειλήματα) abgelöst und sei schließlich als eigenständiges Substantiv gedacht und geäußert worden. Anders verhält es sich beispielsweise mit δημόσιος γεωργός, das u. a. in Sitologenquittungen häufiger nur als δημοσίων erscheint (vgl. dazu P.Fay. 81 und P.Louvre I 43 a. a. O.), sonst jedoch – und hier überwiegt die Zahl der Fälle – ausgeschrieben zu lesen ist. Für die Sitologie manifestiert sich im absoluten Gebrauch also vermutlich ein terminologisches Moment. Weiterhin spricht für den absoluten Gebrauch von δημόσια, dass neben diesem u. a. τέλεσματα häufig explizit als weiterer Posten genannt wird, vgl. z. B. βεβ̣[αιοῦμ]α̣ι̣ δ̣ὲ̣ π̣ά̣σῃ βεβαιώσει καὶ καθαρὰς (…) ἀπὸ παντὸς {οὕτινο[ς]} οὑτινοσο̣ῦν ἄλλο̣υ̣ καὶ ἀπὸ τῶν [ὑ]π̣ὲρ αὐτῶν τελουμένων δημοσίων καὶ τελεσμάτων πάν̣των (P.Wisc. I 9, 24-28).
δημόσια bezeichnet vom Staat erhobene Steuern, vermutlich handelt es sich dabei um Grundsteuern, vgl. z. B. τῆς γῆς δημόσια (siehe unter "Formeln"). Darüber hinaus figuriert die Steuer jedoch auch im Kontext weiterer Bereiche wie z. B. dem Handwerk oder Gewerbe, vgl. allgemein beispielsweise τὰ τῆς τέχνης δημόσια (siehe unter "Formeln" und vgl. dazu P.Oxy. XLI 2971, Komm. zu Z. 17, S. 59) oder konkreter τὰ δημόσια τοῦ μυλαίου (in einem Pachtvertrag über eine Mühle), dazu vgl. S. L. Wallace a. a. O., 222: "These δημόσια are perhaps to be regarded as property-taxes on the mill as well as professional taxes."
In byzanytinischer Zeit erscheint das Wort zunehmend gleichbedeutend mit anderen Ausdrücken für 'Steuer' wie z. B. φόρος, dazu s. Gascou a. a. O. 134-8.
Als Sammelbezeichnung birgt δημόσια natürlich die Schwierigkeit, einzelne konkrete Bedeutungen zu bestimmen. Beispielsweise wäre mit R. Duttenhöffer bzw. J. Herrmann und D. Hennig zu fragen, was mit dem unzählige Male belegten Ausdruck δημόσια πάντα im Einzelnen bezeichnet wird, vgl. Duttenhöffer a. a. O: Sie "umfassen sowohl den Pachtzins and den Staat als auch alle übrigen Steuern, die auf dem Land lasten." Beachte auch den Ausdruck παντοῖα δημόσια (siehe unter "Formeln") und vgl. dazu unten (Bedeutung II.).
Dies macht es erforderlich nicht nur die vielen formelhaften Wendungen einzeln zu betrachten, sondern auch zwischen den verschiedenen Vertragsarten zu unterscheiden und natürlich die einzelnen Dokumente als individuelle Texte zu betrachten und untersuchen.
allgemein:
CPR XXV 15, Komm. zu Z. 5, S. 91 (mit weiterer Literatur). O.Petr.Mus. 403, Komm. zu Z. 5, S. 499. P.Lips. II 129, Komm. zu Z. 11-13, S. 76. P.Petra I 10, Komm. zu Z. 15, S. 115. CPR XXII 16, Komm. zu Z. 1, S. 88. P.Fay. 81, Einl. S. 208-211 sowie neuerdings P.Louvre I 43, Komm. zu Z. 11, S. 199 (zu ὑπὲρ δημοσίων). P.Vind.Sal. 8, Komm. zu Z. 31-32, S. 101-102. Wallace, S. L., Taxation in Egypt from Augustus to Diocletian, Princeton, N. J. 1938, z. B. 222, 321 (vgl. auch den Index s. v. δημόσιος). Wilcken, U., Griechische Ostraka, Bd. 1, Berlin 1899, 178. Literatur für die byzantinische Zeit:
Hickey, T. M. und Worp, K. A., The Dossier of Patermouthios Sidêrourgos. New Texts from Chicago, BASP 34, 1997, 79–109, hier: 84-86. Gascou, J., Les grands domaines, la cité et l'État en Égypte Byzantine, in: Ders., Fiscalité et Société en Égypte Byzantine. Paris 2008, 125-213, bes. 132-138. Casson, L., Tax-Collection Problems in Early Arab Egypt, TAPA 69, 1938, 274–291. P.Lond. IV, S. xxv-xxxii und Einleitungen zu einzelnen Papyri (s. S. xxv). P. Hamb. I 56, Einleitung, S. 198-201.
Abgaben (jeder Art) an den Staat
Englisch
royal levies (of all kind)
Französisch
impôts, frais (de toute sortes) de l'État
Italienisch
imposta, tributo (in generale)
Spanisch
impuesto, tributo (en general)
Sachgruppe
Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen, Obligationenrecht, Darlehen, Kauf, Pacht, Personenrechtliches, Erbrecht
βεβαιοῦν τὴν πρᾶσιν πάσῃ βεβαιώσει ἀπὸ μὲν δημοσίων καὶ ἰδιοτικῶν καὶ πάσης ἐμποιήσεως (z. B. P.Mich. V 292r, 6-7; P.Mich. V 309, 7; PSI VIII 916, 8) βεβαιούτω̣ι̣ (l. βεβαιούτω) δὲ̣ [ὁ δεδανείσμενος τήνδε τὴν] ὑποθήκην [πάσηι βεβαιώσει ἀπό τε δ]ημοσίων κ̣[(αὶ) ἰ]διω[τικῶν καὶ ἀπὸ πάν]των ἁπλῶς (P.Flor. I 81, 15; P.Stras. I 52, 9; P.Flor. I 1, 8) τὸ δὲ προκείμενον ὑπάλλαγμα βεβαιώσω πάσῃ βεβαιώσει ἀπό τε δημοσίων καὶ ἰδιωτικῶν καὶ ἀπὸ πάντων ἁπλῶς (P.Flor. I 28, 19-20)
Erläuterungen
Da es oft schwierig ist, den "eher untechnischen Sammelbegriff" (A. Papathomas im Komm. zu CPR XXV 15 a. a. O.) τὰ δημόσια in den einzelnen Urkunden auf seine spezifischen Bedeutungen hin zu differenzieren – 'öffentliche, allgemeine Steuern', 'jegliche weiteren Forderungen des Staates bzw. öffentliche Lasten' wie z. B. Pachtzinsen –, stützt sich die hier dokumentierte Bedeutung auf diejenigen Belege, die δημόσια syntaktisch gleichwertig neben ἰδιωτικά überliefern, vgl. die unter "Formeln" angegebenen Vertragsbestimmungen. Rechtfertigen lässt sich dies damit, dass bei diesen Belegen am ehesten eine semantische Unterscheidung der Bedeutungen 'Steuern' einerseits und 'staatliche Abgaben, Forderungen des Staats' andererseits zu erkennen ist, da ἰδιωτικά im Kontext der erwähnten Vertragsformel nur so etwas wie 'Forderung von Privatleuten' bedeuten kann; dementsprechend, weil parataktisch im selben Kolon, muss δημόσια hier die 'Forderungen des Staates' bezeichnen.
Dabei figuriert δημόσια vor allem in der "bebaiosis-Klausel" am Ende von Kauf-, Pacht- oder Abtretungsverträgen. Die Formel bekräftigt, dass keine Belastungen oder Forderungen von staatlicher, bzw. öffentlicher Seite hinsichtlich des Grundstücks oder Hauses usw. bestehen. Der Käufer/Pächter schützt sich so vor versteckten zusätzlichen Kosten, vgl. Herrmann a. a. O., 156.
Es kann davon ausgegangen werden, dass δημόσια nicht nur in den hier genannten Zusammenhängen im weiteren Sinne 'staatliche Abgaben' bezeichnet, jedoch muss für die übrigen Fälle der individuelle Kontext berücksichtigt werden.
CPR XXV 15, Komm. zu Z. 29, S. 91. P.Bingen 60, Komm. zu Z. 11, S. 256-257. P.Lips. II 129, Komm. zu Z. 11-13, S. 76. P.Sijp. 44, Komm. zu Z. 3, S. 296 (zur Steuer auf die Freilassung von Sklaven bzw. mit Literatur dazu). Herrmann, J., Studien zur Bodenpacht im Recht der graeco-aegyptischen Papyri, München, 1958, 153-164 (zur bebaiosis-Klausel).